Karlsruhe - 59 Jahre nach
einem von SS-Männern begangenen Massaker in Griechenland hat der
Bundesgerichtshof in einem Grundsatzverfahren am Donnerstag όüber
die Klagen von vier Hinterbliebenen verhandelt. Die Kläger - ein
Grieche aus Zürich und seine drei Schwestern - fordern
Schadensersatz von der Bundesrepublik Deutschland.
Ihre Eltern waren zusammen mit rund
300 Bewohnern des griechischen Dorfs Distomo bei Delphi am 10.
Juni 1944 bei einer «Vergeltungsaktion» nach einem Partisanenüberfall
erschossen worden. Sollten sie Recht bekommen, muss Deutschland
mit Forderungen Kriegsgeschädigter in mehrstelliger Milliardenhöhe
rechnen. Der BGH wird sein Urteil am 26. Juni verkünden.
In einer durch ihren Anwalt Achim Krämer
verlesenen Erklärung bedauerte die Bundesregierung, dass von
Deutschen im Zweiten Weltkrieg «vielfältiges Unrecht» begangen
worden sei. «Dies betraf nicht zuletzt die Opfer übermäßiger
und damit völkerrechtswidriger Vergeltungsmaßnahmen für Partisanenüberfälle.»
Distomo stehe für ein «besonders brutales, aber leider nicht
einmaliges Vorgehen deutscher Soldaten». Eine Entschädigung
lehnt die Regierung nach wie vor ab.
Die Bundesrepublik habe sich seit
ihrem Entstehen um Wiedergutmachung und Versöhnung bemüht und
werde auch künftig mit den seinerzeit kriegsbeteiligten Staaten
zur Sicherung des Friedens zusammenarbeiten, heißt es in der Erklärung.
Deutschland hatte nach einem Vertrag von 1960 bereits 115
Millionen Mark Reparationsschulden an Griechenland gezahlt.
In dem juristisch όberaus
komplizierten Fall geht es um die bisher ungeklärte Frage, ob
Einzelpersonen einen Staat auf einen Ausgleich von Kriegsschäden
verklagen können, was Konsequenzen für praktisch jeden Krieg hätte.
Die Bundesregierung beruft sich auf einen völkerrechtlichen
Grundsatz, wonach nur Staaten, nicht aber Individuen solche Ansprüche
gerichtlich geltend machen können.
Klägeranwalt Joachim Kummer
entgegnete, neuere Entwicklungen in der Völkerrechtslehre ließen
unter bestimmten Voraussetzungen auch Einzelklagen zu. Dies habe
auch das Bundesverfassungsgericht in einer Entscheidung von 1996
angedeutet. Die Handlungen der SS-Einheit hätten eindeutig gegen
die Vorschriften der Haager Landkriegsordnung zum Schutz der Zivilbevölkerung
verstoßen.
Kummer kritisierte, dass die
Vorinstanzen in dem Verfahren - zuletzt das Oberlandesgericht Köln
- eine Entschädigung für dieses schwere Unrecht unter Berufung
auf eine angeblich fehlende Rechtsgrundlage abgelehnt hätten. «Darin
liegt ein eklatanter und unerträglicher Widerspruch.» Er berief
sich zudem auf die nach deutschem Recht garantierte Haftung des
Staates für «Amtspflichtverletzungen» - ein Anspruch, der aus
Sicht der Bundesregierung jedoch nicht für Kriegsschäden gilt.
Parallel zum deutschen Verfahren
hatten Hinterbliebene auch in Griechenland geklagt. Ein
Landgericht hatte Deutschland 1997 zu einer Entschädigung von
knapp 29 Millionen Euro für fast 300 Kläger verurteilt. Die
deutsche Regierung verweigerte die Zahlung und berief sich auf
den Grundsatz der «Staatenimmunität», wonach ein Staat nicht
über einen anderen zu Gericht sitzen darf.
12-06-03 |